Weihnachtliches Sittengemälde

Lametta nicht im Bilde

Was soll ich tun, stöhnte das Kotelett: Man muss einfach immer  schwitzen in diesem alten Pommesfett bei diesen Geizkrägen, die sich aus lauter Geiz nicht die Fingernägel schneiden. Sind  sie ma lieber still, raunte das halbgare Kalbsschnitzel, das neben ihm lag. Sonst erzähle ich dem Herrn Oberverwaltungsdirektor gleich ma ’n Schwank aus ihrer Jugend, sie olle Sau.

Na, und sie waren in ihrer Jugend vielleicht ein Unschuldslamm, entgegnete das Stück ehemaliger alter Sau desorientiert und Eiweis  schwitzend.

Sie blöde Sau! So eine blöde Sau is mir ja wohl noch nich unterjekommen. Ich armes Schnitzel hatte ja nur meine all zu kurze unschuldige Jugend, denn ich bin ja nur ein armes Kälbchen gewesen. Sehen sie, flüsterte das Saustück proletaristisch bemüht, dann mäßigen sie jetzt aber besser augenblicklich ihr vermutlich jungendliches Temperament. Sonst ist es bald in aller Munde, dass sie beinahe eine blöde Kuh geworden wären.

Darauf schwiegen beide und eine wurstfingerige Patschehand umkrallte den Holzgriff der heißen eisernen Pfanne mit dreckigen schmalzigen Fingern, aus denen  lange Fingernägel wuchsen, und nahm die Pfanne vom Ofen. Im Radio sangen die Schöneberger Sängerknaben oder die Regensburger Domspatzen ein traditionelles Weihnachtslied, wahrscheinlich ‚Stille Nacht‘ oder ‚Oh Tannebaum‘ oder ‚Jingle Bells‘ oder ‚I’m dreaming of a white Christmas‘ oder so –  oder so ähnlich.

Die Patschehand gehörte einem verwitweten ehemaligen Oberverwaltungsdirektor, der, bevor er Kalb und Schwein mit pflichtschuldigem Hunger vertilgte, ein Stück trockenes Weißbrot, welches er aus dem blauen Müllsack einer Schulkantine  herausgefischt hatte, in das alte Pommesfett tauchte, wobei er, da es Heiligabend war, vorfreudig jauchzte. Süßer die Glocken nie klangen.

Dann drehte der Oberverwaltungsdirektor die Heizung ein wenig herunter, ging in das Wohnzimmer, warf einen kurzen Blick auf den eingestaubten, trauerumflorten Bilderrahmen, aus dem seine verblichene Gattin ihn mit diesem unverwechselbaren, mürrischen Lächeln geradezu entgegentrat.  Daraufhin  nahm der pensionierte Beamte den dicken Aktenordner, in dem eigentlich die Spendenquittungen gesammelt wurden aus dem Wohnzimmerschrank, und heftete darin zufrieden seine letzte Steuererklärung  ab.