Sarrazin als Führer einer neuen völkischen Rechtspartei?

Lasst uns darüber reden, mit wem wir nicht reden.

Ja, es ist wunderbar. Wir können in den demokratischen Leitmedien über alles und mit allen reden – auch mit Sarrazin. Da sich Sarrazin keiner altertümlich faschistischen Terminologie bedient, habe ich das hier mal in „Nazisprech“ übersetzt. Um sein „Projekt“ auf den Punkt zu bringen ohne den Dreisatz zu bemühen, es sieht etwa folgendes vor: Die durchschnittliche Intelligenz des Deutschen Volkskörpers wäre zu steigern durch die Beschränkung der Invasion nicht zu „kultureller“ Anpassung fähiger und williger muselmanischer Minderintelligenzvererber und die entsprechende Auslese minderer Intelligenz auch im originär Deutschen Volkskörper durch verstärkte Elitenbildung.

Aber Sarrazin spricht, wie gesagt, kein „Nazisprech“, sondern bedient sich einer trotz aller Beleidigungen und Provokationen immer noch stark weichgespülten Ausdrucksweise, um seine rassistischen Thesen unters Volk aber mehr noch vor die rechtsnationalen Eliten zu bringen, denen er sich schon immer talentiert angebiedert hat.  Die These, er solle doch aus der SPD raus und in die NPD rein, ist dumm, wie auch seine ausweichenden Reaktionen auf Kritiker zeigen. Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky, SPD, interviewt von Deutschlanradio Kultur, ist beispielsweise der Meinung, die SPD müsse solche Positionen aushalten, denn wenn sie es nicht täte, würden die darufhin Verjagten, sich in einer neuen rechten Sammelbewegung wiederfinden.

Der Mann liegt nicht völlig falsch. Und das gleiche trifft selbsverständlich auch für Rechtsabweichler zu, die es nicht mehr in CDU, CSU oder FDP hält. Die in den letzten Wochen ebenfalls häufig geäußerte Behauptung, es würden sich gerade jüngere Linksparteimitglieder finden, die einer neuen Rechtspartei nicht abgeneigt wären, halte ich für eine ungeschickte Diffamierung der rechten bürgerlichen Presse, die gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen gedenkt, wenngleich sie damit bei denkenden Menschen keinen Erfolg zeitigen wird.

Zum Einen fischt dieses „Argument“, junge Linksparteiler wären für die neue rechte Partei besonders empfänglich, stark unterschwellig in den Tümpeln rechter Historiker, die sich nach Kräften bemühen die Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus in ihrer Totalitarismus-Theorie als auschließliche offizielle Auffassung zu perpetuieren. Gleichzeitig und zum Anderen aber feiern die selbstverliebten rechten Publizisten damit den selbst prognostizierten Wählerzuspruch für eine neue rechtsnationale Partei, der sie auf die Beine helfen wollen, und in der sich natürlich nur die reinsten Demokraten tummeln werden, solche also, die sie in der Linkspartei am wenigsten verorten.

Die Gelegenheit ist günstig

Nach dem jüngst im Tagesspiegel veröfftentlichten Aufruf des rechtskonservativen TU-Medienwissenschaftlers Norbert Bolz, kann man allerdings ganz unüberrascht konstatieren, dass diese rechte Sammlungsbewegung längst im Marschtempo auf ihre potentiellen Wähler zueilt und dass die Idee zu dieser Erweckungsbewegung schon lange vorher vorbereitet worden ist.

Dominanz linker Meinung – Schreckgespenst in fahlem Licht

Die angeblich linke Festung in bundesrepublikanischen „Qualitätsmedien“ ist schon am Ende der Regieungszeit des Dicken sturmreif geschossen worden. Was noch fehlte, waren die tatsächlichen Voraussetzungen für das Entern und die Okkupation der Meinungshoheit durch die neue nationale Mitte. Dies geschah dann endgültig in der Legislative Schröder/Fischer durch die vollständige Zerstörung des alten Sozialstaatsmodels und die Schaffung eines neuen Lumpenproletariats, welches in der Auffassung des bürgerlichen Lagers schon immer einfacher nach rechts zu treiben war, als nach links.

Die nationalistische rechtskonservative Sammlungsbewegung, in der sich, wie die Unterstützerliste zeigt, von der rechten „geistigen Elite“ der Antiabtreibungsanwälte über die Deutsch-Katholischen bis zum illustren Urenkel des „Eisernen Kanzlers“ Ferdinand Fürst von Bismarck alles wiederfindet, was in der öffentlichen Wahrnehmung des letzten Jahrzehnts den Rückwärtsgang erfolgreich zum einzig möglichen Vorwärtsgang stilisieren durfte, kann optimistischen bürgerlichen Schätzungen zufolge (Focus) mit einer Zustimmung von 20 % der deutschen Wahlbürger rechnen.

Ein williger Vollstrecker aber noch keine Führerfigur

Sarrazin ist bemüht, noch bevor diese Partei sich konstituiert haben wird, jetzt schon die Stimmen einzusammeln, die er in den „geistigen Eliten“ am äußersten rechten Rand der Wählerschaft von SPD, CDU und FDP verortet. Sarrazin will nicht etwas in einen wie auch immer gearteten Zusammenschluss der Schmuddelparteien NPD und DVU, sondern er dient sich jetzt schon an, als Gallionsfigur einer neuen rechtsnationalen Partei, deren Gründung spätestens im kommenden Jahr fällig wird. Doch er agiert als autoritärer Charakter in der jetzigen Republik, die er hasst, noch weit unter seinen Möglichkeiten und er fühlt sich berufen zu Höherem, zu größerer Macht, die er aus den Händen der Eliten erwartet, die ihm seine Vorreiterrolle später damit danken sollen. Sarrazin ist meiner Ansicht nach zutiefst subaltern. Solange er auf Dankbarkeit hofft, bleibt er ein Kläffer, den man ungern öffentlich streichelt.

Die neue bürgerlich nationale Rechte konstituiert sich

Ein offizieller Mr Hyde wäre damit benannt. In die Rolle des nicht minder seltsamen Dr. Jekyll psassten einge konservative Herumlungerer, beispielsweise der von Muttis Partei brüskierte bierdeckelnde Friedrich Merz aber auch fünf bis sechs Protagonisten der sonst so drögen Merklelbühne. Allen voran der zum Liebling des Volkes hochstilisierte Freiherr zu Guttenberg, der sich mit seinen eigenständigen Positionen zunehmend einer Klientel empfiehlt, die keine schlappe Volkpartei mehr wählen wird, sondern, sobald es sie gibt, eine autoritär nationalistische scheinliberale Ordnungspartei mit einer straffen Führerfigur an der Spitze.

Auch die von Merkel beim Schlingerkurs um die Kandidatenkür bei der Bundespräsidentenwahl kalt im Regen gelassene Minsterin von der Leyen lässt sich mühelos aus diesem Vorgabeschema rastern. Mit der Konstituierung der bürgerlichen Ultra-Rechten vollendet sich in der politischen Landschaft der BRD eine Entwicklung, die andere europäische Länder auf unterschiedlichste Weise schon hinter sich haben.

Die Aufklärung wars – Europa hat seinen Prügelknaben gefunden

Aus den einstmals von den Gesellschaften geduldeten, so genannten rechten Populisten, sind auf den Politbühnen und in den Gesellschaften mit der Unterstützung eines Netzwerks von rechtem Publizismus hoffähige Meinungsbildner geworden. Und es sieht kackbraun aus, wenn man europaweit auf die Topoi der neuen Rechten schaut und was ihr dreistes Vorpreschen bereits in der öffentlichen Meinung bewirkt hat.

In der Schweiz gibt es nach dem Volksbegehren gegen Minarette nun eines für die Wiedereinführung der Todesstrafe für Sexualstraftäter. Hierzulande zeigt die Debatte um die Sicherheitsverwahrung genau dieselben im Kern antiaufklärerischen Tendenzen.  Lange davor zeichnete die öffentliche Diskussion über die Anwendung der Folter gegen den (damals mutmaßlichen) Mörder des Bankierssohns Jacob von Metzler das selbe Bild einer fehlgeleiteten öffentlichen Meinung.

Frankreich schmeißt jetzt ohne nennenswerte Gegenwehr der parlamentarischen Demokraten seine Roma mit brutalsten Polizeistaatsmethoden raus, Faschisten sind an verschiedenen Regierungen in Europa beteiligt. Und überall fungiert die rechte bürgerliche Mitte, der Otto Normalverbraucher, der sich straffe Führung, Ruhe, Ordnung und Eigentumssicherheit wünscht, als Steigbügelhalter faschistischer Gesellschaftstransformationen und befürwortet uneingeschränkt die nationalen, europäischen und internationalen Maßnahmen zur Abschottung z.B. gegen Hungermigration.

Die Stichwortgeber, die u. a. mit dem Begriff Parallelgesellschaft hantieren, sind kräftig dabei, Inhalt und Bedeutung dieses Stichworts antiemamzipatorisch weiterzufassen. Ihr mittelfristiges Ziel ist die Ausbildung einer durch konstruierte Sachzwänge legitimierten Appartheid, die sich mit mehr Wucht gegen Arme und wie auch immer Ausgegrenzte wenden wird, als wir es jetzt für möglich halten. Die braune Scheiße parfümiert sich dazu derzeit auf breiter Front in aller Öffentlichkeit mit einem Duft von Rechtsstaatlichkeit und fröhlichem Nationalstolz. Und hinterher will es wieder niemand gemerkt haben oder gewesen sein.

Ob Arbeitslose oder Migranten: Wie aus der bürgerlichen Mitte Sozialrassismus
wieder hoffähig gemacht wird - Rudolf Stumberger auf Telepolis
"Medienakampagne für eine neue Rechtpartei" - Artikel auf der World Socialist Web Site
"Sind Muslime dümmer" - Interview mit Thilo Sarrazin im Onlineportal der ZEIT
"NPD und pro Deutschland werben um Thilo Sarrazin" - Thorsten Stegemann auf Telepolis