Für meinen Freund Kolja und für die Berliner Band „Populäre Mechanik“
Der Vektor Zeit ist in anderen Räumen verzichtbar. Eine unvorstellbare Erkenntnis. Erkenntnis deshalb , weil sie subjektiv ohne Erklärung bestehen kann. Dennoch: In diesem Raum, gerade weil hier Zeit existiert, bin ich bemüht eine Hinterlassenschaft zu organisieren, um mich und meine Vorstellung von dem, was hier ist, fortzusetzen. Über den Zeitpunkt meiner physischen Existenz hinaus.
Eudaimonie
Das Elend der Welt ist in den Griff zu bekommen.
Der Lernwillige glaubt daran.
Und er will von keiner Entgegnung wissen,
Er litte unter Verfolgungswahn.
Er war es nicht!
Er hat die Dämonen nicht
Gegen andere geschleudert,
Ihm fehlte ein Gegenüber.
Er sieht die Welt mit fremden
Wie mit eigenen Augen:
Damit sie eingeordnet werden kann.
Aus purer Bequemlichkeit!
So mag der Lernwillige sein.
Wenn die Nacht gekommen ist, wird der Wind schärfer. Dann klopft der Lernwillige an die winzigste aller Klosterpforten. Man öffnet ihm alsbald, geleitet ihn ohne Aufschub zum Prior; der fragt den Angekommenen, was er wolle. „Ich suche. Wie finde ich Einlaß in eure Gemeinschaft?“ Der Prior schickt ihn weg. „Wisst ihr überhaupt, wohin ihr mich da schickt?“ – „Dein Zuhause kenne ich eben so gut, wie du unser Kloster“, antwortet der Prior.
Der Lernwillige weint und darf einige Tage im Kloster verbringen. Seine Erinnerung bricht jedesmal an der selben Stelle ab: bei der Entgegnung des Priors. Die Tage im Kloster sind ihm nicht erinnerbar. Was er gegessen hatte, wie er gekleidet, mit wem er sich unterhalten- nichts erinnerbar, nichts, nichts, nichts, außer der Gewißheit, dass er dort war. Präzise Erinnerung ohne Madelaine-Effekt.
Er summt vor sich hin , wie es in seinem Resonanzschädel blüht, nein wuchert.
Oregami, Oregami, O_RE_GA_MI! Entweder ein Phantasiewort oder eine Lautkombination, die irgendwann im Verlauf von 50 Jahren- zunächst als Musik ihren Eingang in den Reigen der Assoziationsmöglichkeiten gefunden hat. Aber reicht nicht das Gedächtnis länger zurück als sein Entstehungsdatum oder das seines Eimers? Oregami betont auf der vorletzten Silbe.
Oregami resoniert tröstend. Oregami, Oregami, Schlaf ein, mein Kind!
Oregami ist ein Hirngespinst. Die Gerwissheit, die ich durch Anspannung erlange, bringt weitere Anspannung. Sie muss eine momentane Gewissheit bleiben. Sie täuscht kurz und enttäuscht länger. Gewissheit, die mir zufällt, bleibt aus, solange ich nicht an sie glauben kann. Woher soll mir also Gewissheit kommen?
Oregami.
Dem Weisen ist die Weisheit zugefallen. Entspannt und gläubig und gewiss. Er erlangt sie nicht, sie bedarf weder seiner noch anderer Anstrengung, um zu sein. Zufall, Geometrie, Gewissheit. Der Lernwillige, der ein kreisrundes Feld bewirtschaftet, das er selbst präzise kreisrund angelegt hat, wird wissen, dass sein Feld kreisrund ist. Und doch will er sein Feld aus der Entfernung betrachten, um es glauben zu können.
Der Lernwillige, der die Aussaat einfältig dem Wind überlassen hat, muss sich nicht entfernen, weil er am Resultat des Lebens gar nicht zweifelt. Schauen beide nun aus der Entfernung auf ihr kreisrundes Feld, so kann ihre Freude darüber durchaus gleich groß sein. Der erste freut sich, dass ihm gelang, was er vorhatte – letzterer, darüber, dass sein Feld rund geworden ist. Beider Freude speist sich aus der gleichen Quelle. Ihr Wasser durchtränkte beider Feld, gleich wer, gleich wie es angelegt.