Legende von der Straßenverkehrsordnung oder Ubodobus Rules

Für R. Z.

Als Ubodobu die Welt erschuf, verfasste er, wie alles, in weiser Voraussicht auch die Straßenverkehrsordnung. Dabei lutschte er Veilchenpastillen und sein Gemüt wurde sanft, trotz allem, was er voraus sah.

Milliarden Jahre später krachte es an der Ampel Bismarckstraße Ecke Wilmersdorfer. Erst einmal, dann noch einmal. Ein Geräusch von Blechverformung und Knochensplittern. Ubodobu, im Grunde liebte er seine Schöpfung noch immer ein bisschen, fiel §1 der StVO ein: “Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.”  Warum, um Ubodobus Willen halten sie sich nicht daran, dachte Ubodobu und räusperte sich verlegen, obwohl ihn niemand bemerkte.

Aus dem Unfallauto, einem schwarzen Alpha Romeo, stieg eine hübsch gekleidete Dame Mitte 50 und war entsetzt. Entsetzt über den weißbärtigen Mann Mitte 50, der auf ihrer Kühlerhaube zu liegen kam, nachdem er aufgrund des Zusammenpralls ca. 3 Meter in die Luft geschleudert worden war. Ein wenig entfernt lag auch sein Fahrrad, ein tadellos blau lackiertes Peugeot-Sportrad mit sechsgängiger Außenschaltung Baujahr etwa 1959, das nur ein paar Kratzer abbekommen hatte. Der Mann hielt, da er Fahrradfahren in einer anderen Zeit erlernt hatte , für gewöhnlich stets auf die Straßenverkehrsordnung sowie an roten Ampeln, auch beschimpfte er niemals heißspornige Rechtsabbieger. Es hätte den Ubodobu gefreut, mit diesem Rechtschaffenen für seine Schöpfung zu werben. Und nun das. Die Unfallursache ist leicht erzählt, oder? Dem weißärtigen Witwer war irgendwo zwischen Fürstenbrunner Weg und Wilmersdorfer Ecke Bismarckstraße die Gießkanne vom Gepäckständer gerutscht. Während er angestrengt nachdachte wo genau er sie verloren haben mochte, war ihm das Rot der Ampel entgangen. Ubodobu schlüpfte entschlossen in den Körper des Witwers und sprang wie ein Junger von der Haube. Die Alpha-Fahrerin traute ihren Augen nicht. Ubodobu hingegen fand die Dame recht ansehnlich.

Derweil entstand ein tumultuarischer Auflauf um den Unfallort. Der Rädelsführer, ein gewisser Hegel, beeilte sich, obwohl er erst später hinzugekommen war, das Ereignis einzuordnen: “Summa summarum wieder ein schöner Beweis für meine These von Herr, Knecht und Freiheit- ein Kampf auf Leben und Tod um Anerkennung”, erklärte er den Passanten die umher standen und glotzten. “Jemand muss die Ordnungsmacht verständigen. Geben sie mir mal ihr Handy”, herrschte Hegel einen blutjungen Anzugträger an, der dem Unfall allerdings hautnah beigewohnt hatte, und gerade im Begriff war, seiner Freundin mobiltelefonisch zu berichten, wie grauenerregend echt Geräusche des Aufpralls außerhalb der virtuellen Realität klingen können. “Hätte der Mann sich an die Regeln gehalten und sich freiwillig unterworfen, würden wir hier nicht diesen Unfrieden erleben“, keifte die alte Mrs. Hobbes, die mühsam ihren kläffenden Rehpinscher zurückhielt, der auf den Namen Heidegger hörte. “Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein”, intonierte da aus der vierten Reihe ein ordentlicher Mann, der einen viel imposanteren weißen Bart trug, als der verunfallte 50-Jährige, in den der Ubodobu eben gefahren war.

„In der Tat. Wäre meine Gießkanne vom Gepäckträger gefallen, wenn sich jeder eine Gießkanne leisten könnte? Früher habe ich sie hinter dem Grabstein meiner Frau verstecken können, aber in letzter Zeit wurde sie ständig geklaut“, sagte Ubodobu. Und er beschloss einige Jahrzehnte in dem 50-jährigen Witwer zu verweilen und stieg in den Alpha der ansehnlichen Dame: “Kennen sie irgendwo auf der Welt einen Laden, in dem es vernünftige Veilchenbonbons gibt”, trällerte er.  “Ja und was wird nun aus ihrem Fahrrad?”, fragte die Dame und setzte sich wieder ans Steuer. “Das hat Zeit, das hat Zeit”, entgegnete Ubodobu. Und während die Dame auf  der Bismarkstraße in den vierten Gang schaltete, sinnierte sie wieder zu Verstand gelangt: “Struggle for live, survival of the fittest.“

„Das entspricht der Wahrheit; ich muss das unbedingt in die StVO schreiben lassen”, freute sich Ubodobu.

Erstveröffentlichung 2008