Graumanns Nachricht an einen gewissen Teil der Welt

Ich bin kein trockener Alkoholiker.

Ich trinke mein Gläschen am Abend nicht mehr, weil ich den Wein, den ich akzeptieren könnte, nicht mehr beschaffen kann, ohne kriminell zu werden oder zu betteln. Aus Geldmangel, mithin ist dies ein reines Luxusproblem und somit durchaus verwindbar. Bin ich bei guten Freunden eingeladen, die guten Wein haben, trinke ich dennoch mäßig. Wenn ich nicht kochen könnte, und jeden Tag selber kochen würde, müsste ich beschissenes Zeug fressen, meine Damen und Herren! Für meine Argumentation muss ich also nicht mit der alleinerziehenden Hartz IV – Mutter auftrumpfen, obwohl ich Abscheu empfinde vor einer reichen Gesellschaft, in der es Kinder erster bis vierter Klasse geben darf.

Ich leite diese kleine Geschichte bewusst so ein, damit Sie, werte Hetzerin und werter Hetzer sofort einen Grund haben, um bei ein, zwei Fläschchen hübschem Grand Cru aus dem aufgeräumten Keller ihrer Bleibe in den üblichen Stereotypen über mich und meinesgleichen herzufallen. Nennen Sie das ruhig Neid! Vielleicht möchten Sie mein für Transferleistungsempfänger abartiges Vergnügen am Genuss ja auch meiner zuständigen ARGE melden. Bitte nur zu. Und wenn Sie schon dabei sind: Sie sollen nicht wie ein Depp mit leeren Händen, also aufgrund bloßer widerlicher Verleumdung ihren annonymen Anruf tätigen – Sie können denen sagen, dass ich bis vor kurzem noch eine sündhaft teure Flasche „Château Garage, grand cru déclassé“ (eine NZZ Empfehlung von 2001) in meinem zugemüllten Mietwohnungskeller stehen hatte, die ich selbstverständlich nicht als Sachwert angegeben habe, als ich den Erstantrag ausfüllte.

Und diese Bouteille habe ich eben in Anwesenheit meines Kuschelbären im Verlaufe dreier Stunden allein geleert. Mein Kuschlebär war leider schon immer abstinent. Nach zweieinhalb Jahren Hartz IV war es die letzte von sieben Flachen akzeptablen Weins. Ja, ich jammere, denn nun ist nich‘ mal mehr guter Essig da, dies nur deshalb weil auch meine irdene Essigmutter auf Grund geht. „Du zerschlägst sie, du zerschlägst sie zu Scherben wie des Töpfers Gefäße.“

Verehrte Hetzerinnen und Hetzer, liebes Denunziantenpack!

Wenn wir uns demnächst einmaml begegnen sollten, sie nicht langweilen und ein bischen Geschmack haben und gerade soviel Halbbildung, dass man Ihnen entgegenkommen kann, werden wir uns vielleicht unterhalten. Und Sie werden denken: „Nun ja, ein … was wird das für ein Typ sein, der mir da gegenüber steht, der Anzug ist nicht von der Stange, aber ganz deutlich sind die Abnutzungserscheinungen zu erkennen am gebrochenen Revers…zweifellos aus der Mode… vielleicht geizig….vielleicht mal bessere Zeiten gesehen…“ Aber soweit werden Sie gar nicht denken, ich habe das jetzt zu Ihren Gunsten halluziniert. Das ist mein und Ihr Glück. Denn sonst würden Sie mich in ein Gespräch verwickeln, das ich zweifellos nur mit einer derben Beleidigung beenden könnte, oder indem ich Sie stehen lasse.

Wenn sie aber ein lieber Denunziant sind, der verspricht, noch einmal nachzudenken, bevor er das nächstemal hetzt, und wenn Sie Geschmack haben und nicht langweilen, würde ich Ihnen reinen Wein einschenken. Ich würde Ihnen erklären, dass ich nicht wie das Vieh behandelt werden möchte von Sklavenhändlerringen, dass ich meine Arbeitskraft jeden gottverdammten Tag irrwitzig zu Markte trage, und dass dieselbe heute zum 150. Mal keiner haben wollte. Das erste Jubiläum außerhalb der elliptischen Tretmühle, die ich vorher hatte, als ich noch eine Sprechernutte war.

Ist das kein Grund die letzte Flasche leer zu trinken?

Dass die Ware meiner Arbeit aber auf dem Markt, dem vermalledeiten, keiner haben will, würde ich Ihnen weiter erklären, liegt nicht daran, dass sie nichts wert ist, sondern daran, dass ich 54 Jahre alt bin und konservative Vorstellungen von einem Lohn und Brot – Verhältnis habe, und nicht zuletzt daran, dass es zu wenig Arbeit und eine weltweite Überakkumulation gibt. Ich würde Ihnen auch noch sagen, dass in diesem meinem Lande seit der Regierung Kohl und krabumms-final mit Unterstützung der  „Arbeiterverräter“ der rot-grünen Koalition, von nicht wenigen viel Besitzenden dahingehend interveniert wurde, eine Armee von Arbeitssklaven hervorzubringen, die zu jeder Schweinerei gegen ihresgleichen bereit ist, wenn sie nur ein bisschen Horizont sehen darf. Wenn Sie wahnsinnig nett sind, lieber Denunziant und Hetzer, würde ich Sie noch fragen, wie hoch denn die Beiträge zu Ihrer privaten Krankenversicherung derzeit liegen. Dann würden wir über die Kopfpauschale des Jüngelchens Rösler ungleicher Meinung sein, und dann müsste ich Ihnen sehr respektlos noch das Folgende antragen:

Ich bestehe darauf, dass ich kein Vieh bin, denn Sie würden das auch nicht wollen. Wer will das eigentlich? Ich bestehe darauf, dass mein Wert nicht nach meiner Nützlichkeit für den Mehrwert einer Halsabschneiderbande bemessen wird, denn Sie würden das für Ihre Person auch nicht wollen.

Ich bestehe darauf, ein Mensch zu sein, denn Sie sind auch einer.

Ich bestehe darauf, Gewerkschaftsbeiträge zahlen und es einem potenziellen Arbeitgeber sagen zu dürfen, ohne das Risiko auf ewig aussortiert zu werden, aus der Liste der seeligen Arbeithabenden. Und wenn Sie in diesem Staat zumindest Steuern und Krankenversicherung zahlen, werden wir einer Meinung sein. Sie, der Arbeit noch hat, und ich, der keine mehr hat.

Und ich bete zu Gott, dass ich keine Maßnahme bekomme, in der mir erklärt wird, wie ich mich zu präsentieren und zu verhalten habe, welchen Haarschnitt ich zu haben habe, und welches Hemd ich mit welcher Kravatte nach langläufiger Meinung auf keinen Fall anziehen darf, um einen gottverdamt beschissenen Callcenterjob zu bekommen. Welche Karvatte Sie zu welchem Hemd tragen, schreibe ich Ihnen  garantiert nicht vor. Wie käme ich dazu?

Mit der Sequenz seh‘ ich den Boden der Bouteille. Auf die Liebe und auf den Wein! Man ist immer gern zu Diensten!

Um hier  jeder Ovation von falscher Seite vorzubeugen: Das s.g. bedingungslose Grundeinkommen halte ich für eine Ausgeburt der Hölle! gez. Graumann, nach Diktat abgereist.