
Der Scharfmacher: Sarrazin-Buchvorstellung, Haus der Bundespressekonferenz, Berlin, 09.2010, Foto: Alfred Eichhorn
Seit dreißig Jahren werden von alten und neuen Apologeten des Konkurrenzkampfes als naturgegebener Weltordnung erneut Fakten geschaffen, die zu Faschismus und Krieg führen werden. Das Fazit meiner Betrachtung über die Möglichkeit einer neuen extremen Rechtspartei der bürgerlichen Mitte in der BRD lautete 2010: Die Stichwortgeber, die u. a. mit dem Begriff Parallelgesellschaft hantieren, sind kräftig dabei, Inhalt und Bedeutung dieses Stichworts antiemamzipatorisch weiterzufassen. Ihr mittelfristiges Ziel ist die Ausbildung einer durch konstruierte Sachzwänge legitimierten Appartheid, die sich mit mehr Wucht gegen Arme und wie auch immer Ausgegrenzte wenden wird, als wir es jetzt für möglich halten. Die braune Scheiße parfümiert sich dazu derzeit auf breiter Front in aller Öffentlichkeit mit einem Duft von Rechtsstaatlichkeit und fröhlichem Nationalstolz. Und hinterher will es wieder niemand gemerkt haben oder gewesen sein.
Für die Tegeszeitung Junge Welt hat Tomasz Konicz am 16.11.2013 den ersten Teil einer Analyse veröffentlicht, die den direkten Zusammenhang zwischen dem Vorherrschen neoliberaler Mainstream-Ideologie und der Formierung der „Neuen Rechten“ in Europa argumentativ und faktisch untermauert.
…Diese Tendenz zur Ausbildung eines buchstäblichen »Extremismus der Mitte« spiegelt sich auch in der Ideologie, die von diesen rechtsextremen oder rechtspopulistischen Bewegungen transportiert wird. Die Neue Rechte greift dabei auf Anschauungen, Wertvorstellungen und ideologische Versatzstücke zurück, die im Mainstream der Gesellschaften herrschen. Diese Mittelschichtideologie, deren Ausformung maßgeblich von der neoliberalen Hegemonie der vergangenen drei Jahrzehnte geprägt wurde, wird in Reaktion auf die Krisendynamik zugespitzt und ins weltanschauliche Extrem getrieben. Es ist somit keine »äußeren«, der bürgerlichen Mitte entgegengesetzten Kräfte, die nun viele zivilisatorische Standards in Europa infrage stellen. Die krisenbedingt angstschwitzende Mitte brütet die Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen ganz in Eigenregie aus…
…Die Alternativlosigkeit, die vom Neoliberalismus propagiert wird, hat die Neue Rechte abermals zugespitzt, indem sie die Möglichkeit der Formulierung einer Alternative a priori negiert. An die Stelle des neoliberalen Sachzwangs tritt die Natur in Form des erläuterten »Survival of the fittest« in der Marktkonkurrenz. Die neoliberal zugerichtete Ökonomie ist hier – in Gestalt eines rassistisch aufgeladenen Sozialdarwinismus – längst zu einer »zweiten Natur« der menschlichen Gesellschaft geronnen, wodurch die Formulierung von Alternativen unmöglich wird. Wer will sich schon gegen Naturgesetze auflehnen? Der Rechtspopulismus kann somit nur noch Strategien zur Adaption an die Krisen ausbrüten, die auf Kosten der Schwächeren realisiert werden sollen – die ja in dieser Ideologie längst zu den Krisenverursachern gestempelt wurden. Das krisenbedingte Verschwinden der politischen Gestaltungsspielräume, das der Neoliberalismus rationalisierte, wird so vom Rechtspopulismus vollendet.
Mit dieser blinden Unterordnung und Unterwerfung unter die Grundprinzipien einer krisengeschüttelten Ökonomie werden aber autoritäre Tendenzen entscheidend gestärkt und die bürgerliche Demokratie vollends ausgehöhlt. Wenn es keine Alternative mehr gibt, wenn wir nichts mehr zu Wählen haben, wozu sollen dann überhaupt noch Wahlen abgehalten werden? Schließlich bildet die schiere Existenz von Alternativen die logische Voraussetzung einer Wahl – ohne Wahlmöglichkeiten in essentiellen Wirtschaftsfragen verkommt aber jeder Urnengang zu einem hohlen Polittheater, ähnlich der Entscheidung zwischen Pepsi und Coke im nächstbesten Supermarkt. Die kapitalistischen Gesellschaften treten in den Zustand der Postdemokratie, wo zwar die demokratischen Institutionen noch vorhanden, aber machtlos sind, während die Entscheidungsfindung längst anhand ökonomischer Imperative automatisiert wurde und von allen Parteien unterschiedslos exekutiert wird. Bei der Wahl stimmt man inzwischen nur noch darüber ab, wie die »Sachzwänge« optimal zu realisieren sind, die eine krisengeschüttelte Ökonomie der ohnmächtigen Politik setzt. Diese postdemokratische Ohnmacht der Politik bietet autoritären Tendenzen und Rechtsbewegungen, die sich vollauf mit den Systemimperativen identifizieren, ein breites Einfallstor.
…Doch während die bereits im Abstieg befindliche Mittelklasse in den Krisenländern die Ausgrenzung »der anderen« an soziale Absicherung für sich selber gekoppelt sehen will, glauben die Mittelschichten in den Kernländern der Euro-Zone noch fest daran, durch eine forcierte Unterordnung unter die Systemimperative der Krisendynamik entkommen zu können. Deswegen pflegt die populistische Rechte – etwa die AfD in der BRD – auch eine pseudodemokratische Rhetorik. Diesen Bewegungen geht es nicht um die Formulierung von Alternativen, sondern um die Exekutierung der Krisendynamik, um die rassistisch oder kulturalistisch verbrämte Vollendung der totalen Ökonomisierung der Gesellschaft, die der Neoliberalismus in Angriff genommen hat. Für die populistische Rechte, die die bestehenden Zustände in Reaktion auf die Krise ins Extrem treiben will, funktioniert die »Demokratie« ja tatsächlich. Sie kann das erreichen, was sie will, ihre Postulate, die der krisenbedingten Barbarisierung Vorschub leisten, können voll verwirklicht werden, da sie das Bestehende bejaht….
…Die rechte Krisenideologie fußt … in allen ihren Ausprägungen letztendlich auf einer psychopathologischen Grundlage, auf einer schweren infantilen Regression, in der frühkindliche Verinnerlichungsprozesse der elterlichen Autorität in modifizierter Form reanimiert werden, um den zunehmenden Verzichtsforderungen der kriselnden Kapitaldynamik noch in Unterwerfung entsprechen zu können. Das damit aufgestaute aggressive Potential wird nach außen gelenkt: auf die zu Sündenböcken gestempelten Krisenverlierer, die zu Krisenverursachern halluziniert werden.
Tomasz Konicz: Wie die neoliberale Hegemonie der vergangenen Dekaden die Formierung der Neuen Rechten beförderte Teil 1 Extremismus der Mitte - Analyse Teil 2 Irre Ideologie - Die autoritäre Austeritätspolitik führt zum Erstarken faschistischer Bewegungen (Junge Welt, 16. und 18.11.2013) Zu diesem Thema hier erschienen: Schwarz-Weiß-Rot-Demokratie und rechtsextreme Mitte (31.08.2010), Sarrazin als Führer einer neuen völkischen Rechtspartei? 26.08.2010 "Mehr Demokratie wagen" (05.12.2009) Vergleiche auch: Rudolf Sturmberger: Die neue Zuchtwahl, (TELEPOLIS 31.08.2010)