Drei spontane Fragen nach dem Hartz-Themenabend in der ARD

1. Was müsste der holländische Staat seinen Zwangsarbeitern bezahlen, wenn er den Zwang aufhöbe und ihnen einen ‚gerechten‘ Tariflohn zugestände, wie normalen Arbeitern??? Plus Sozialversicherung und Rente versteht sich! Wer will uns einreden, dass das unbezahlbar wäre?
2. Was würde den deutschen Staat vom gescholtenen griechischen unterscheiden, wenn er die Arschlöcher, die sich im ausgelagerten privaten Misstandsverwaltungsektor an dem absurden Hartz IV – Konstrukt eine goldene Nase verdienen, bei sich in der Verwaltung beschäftigte? Was wäre der Unterschied?
3. Kann man Geld fressen???

 

Mit der Hartz IV Verwaltungsindustrie, die an Langzeitarbeitslosen verdient, indem sie staatliche Gelder garantiert bekommt, ist nicht zu spaßen. Denn sie stellt einen eigenen Wirtschaftszweig dar, in dem ein Teil jener nicht vermittelbaren Klientel zu Bedingungen des ‚zweiten Arbeitsmarktes‘ zumindest vorübergehend Unterschlupf findet, die sonst selbst auf Transferleistungen angewiesen wäre und ohne Arbeit ein ernstzunehmendes Widerstandspotenzial darstellte. Außerhalb der Stellenpools in den öffentlichen Verwaltungen, ist auch hier gewissermaßen ein Teil ursprünglich staatlicher Kernkompetenz ausgelagert und der Beförderungstradition der alten Ämter entzogen worden, damit aber auch der Verpflichtung, die Effizienz der ausgelagerten Maßnahmen zu verantworten. Regelmäßige Qualitätskontrollen, wenn es sie denn flächendeckend gäbe, könnten ohne zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand der Kommunen nicht mehr, als regelmäßige Makulatur für ein System sein, das ja gerade zu dem Zweck geschaffen wurde, sich der Verantwortung für die von der Realwirtschaft Abgehängten zu entledigen.

In anderen Bereichen wie Post, Bahn,Telekommunikation, kommunale Ver- und Entsorgung, kommunales Eigentum, war diese Praxis zuvor ohne nennenswerten Widerstand auf dem Rücken und zu Lasten der Beschäftigten und der ‚Versorgten‘ erfolgreich durchgesetzt worden. Der Forderung der Marktradikalen, den Staat zu verschlanken, konnten die mittelbar davon Betroffenen nicht widersprechen, ohne sich selbst die Blöße zu geben, die Konsens gewordene Klassenlosigkeit der westdeutschen Gesellschaft zu hinterfragen, die vorgetäuschte, aus den 70gern des vorigen Jahrhunderts überkommene, angeblich nahezu erreichte Chancengleichheit aller Individuen in der kapitalistischen Gesellschaft, als totalen Nonsens zu enttarnen.

Infolge ausbleibenden Widerspruchs wurde mühelos Verwaltung abgebaut und staatliche Kernkompetenz abgegeben – auf dem Arbeitsmarkt mit dem selben fadenscheinigen Argument der Ineffizienz staatlicher Verwaltung und staatlichen Ausgleichs zwischen den Klassen. Ein privates Konstrukt der Arbeitsvermittlung könne gerade schwer vermittelbare Arbeitslose viel erfolgreicher in Arbeit bringen, als dies bis dahin die staatlichen Institutionen vermochten, so die abgedroschene gebetsmühlenartig wiederholte Argumentation. Sie verschweigt, warum denn nichts oder nur scheinbar etwas getan wurde, um die Effizienz der staatlichen Verwaltung gerade der öffentliche Daseinsvorsorge zu steigern. Verschwiegen wurden uns Lobbyismus und Interessenkonflikte, geheime Deals, Ämterpatronage, Korruption, Bestechung und Drohungen gegen Demokraten, die sich dem Ausverkauf der staatlichen Kernkompetenz in den Weg gestellt haben. Korrupte und verurteilte Politiker bekleiden stattdessen in dieser pervertierten Demokratie allerorten hohe Ämter und die Meinung schürenden bürgerlichen Medien scheren sich darum einen Dreck, wenn ein bisschen Wasser die Spree herunter geflossen ist. Der niederländische Journalist Rob Savelberg, fragt in der Bundespressekonferenz, warum man denn Wolfgang Schäuble, der mal „100.000 Mark in seiner Schublade“ vergessen habe, das Finanzministerium überlasse?

Man hat uns erzählt, die Privatisierung von kommunalem Wasser und Abwasser spare der öffentlichen Hand (also dem Steuerzahler)Unsummen, denn private Betriebe seien per se effizienter etc. Ein Argument für ‚Public Private Partnership‘ und riskante Spekulationen, die Kommunen bis heute reihenweise an den Rand des Abgrund befördert haben. Aus dem ‚Arbeitsamt‘ wurde im angeblich sich verschlankenden Staat besser eine ‚Agentur für Arbeit‘. Die euphemistisch so benannten ‚Jobcenter‘ übernahmen von den ehemaligen Sozialämtern den Part der staatlichen Drangsalierung. Im Vergleich zur Zwangspraxis der alten Sozialämter erhielt das neue Gesetz jedoch eine sehr viel breitere Palette staatlicher Disziplinierungswerkzeuge. Dreh- und Angelpunkt der Machtausübung wurde in einem Klima offensichtlich zunehmenden Vertrauensverlusts in die guten Absichten unserer Machteliten, zunächst die verworrene Ausgestaltung der Hartz-Gesetze, die ganz bewusst Willkür, die aus der Auslegung des Verordnungsdschungels zwangsläufig erwachsen musste, gegen zu disziplinierende Gleicheits- und Wohlstandserwartungen in Stellung brachte – dadurch jedoch auch unbeabsichtigt den Unterdrückungsapparat gegen sich selbst.

Seine innere Verworrenheit und seine äußere Undurchschaubarkeit sind von Anfang an augenfällig. Sowohl für den exekutierenden Staatsangestellten in Gestalt des kleinen Fallmanagers, dem am untersten Ende der Verwaltungshierarchie und in voller Kenntnis der Brutalität der zugrunde liegenden Machtstrukturen und ihrer moralischen Konsequenzen für das Durchschnittsdenken, der Angstschweiß auf die Stirn treten muss. Denn er assoziiert im Klienten sich gegenüber, alle Grausamkeiten eines in den Bereich der Möglichkeiten geratenen eigenen sozialen Abstiegs.  Als auch für die durch technische Evolution beständig schrumpfende Zahl der lohnabhängig Beschäftigten, die von ihren Standesorganisationen jahrelang zur Zurückhaltung gedrängt und mit Rabatt suggerierenden Dienstleistungsangeboten bei Laune gehalten wurden, bis ihre Selbstachtung gen null ging und das Vertrauen in ihre gemeinsame Stärke aufgezehrt war. Von dem vollmundigen Versprechen, mitzubesitzen, mitzocken zu dürfen, das als Köder ausgelegt worden war, um Lohnabhängige zur Aufgabe ihrer Klassenidentität und der dadurch begründeten realen Macht zu bewegen, bleibt nur mehr die ohnmächtige Erkenntnis, dass für die gesetzmäßigen Zusammenbrüche des System in Form von imperialistischen Kriegen, ökonomischen Abstürzen bis hin zur vollkommenen Zurücknahme der in der Demokratie verbrieften bürgerlichen Freiheiten, immer jene die bitterste Zeche zahlen müssen, die im Kapitalismus gutgläubig ihre mühsam errungenen Privilegien gegen den Tand eintauschen, den ihnen der Klassengegner als Brocken hinwirft.

Das sollte man bedenken, wenn in solchen Zeiten die ARD plötzlich am späten Abend die Kritik der reinen Hartz-Vernunft aus der Mottenkiste zaubert oder die CDU auf ihrem Leipziger Parteitag im von Korruptionsskandalen geschüttelten Sachsen einen Pfui-Mindestlohn beschließt. Und alle bürgerlichen Medien empören sich über die konservative Volkspartei, die ihre ‚Orientierung‘ verloren hat. Wie ist es möglich, dass kann doch nicht die CDU sein. Ist auch nicht möglich, denn der Mindestlohn, den die Tarifparteien verhandeln sollen, wie es in Leipzig voller Einigkeit durchgewinkt wurde, das ist eine Nebelkerze.

Also bitte, geht doch, möchten die PR-Trainer, Coachs, Imageberater und Ghostwriter jetzt wahrscheinlich sagen. Aber warum ausgerechnet jetzt und warum am späten Abend noch relativ früh diese beiden Sendungen in der ARD? Warum läuft just vor der bürgerlichen Hartz-Kritik die Heiligsprechung von Peter Hartz, dem Namenspatron des Elends. Sorry, das ist die Dramaturgie der ‚Aktuellen Kamera‘. Dieser bemitleidenswerte Einfaltspinsel entblödet sich im Interview tatsächlich nicht, den ursprünglich mit 500 Euro angedachten Regelsatz zu erwähnen, und dass das im politischen Alltag mit all der Bund-Länder-Bürokratie und dem Kompetenzgerangel eben so kommen musste, wie wir es jetzt haben: Wenn nicht eimal mehr klappt, was die Untergrenze der Geschmacklosigkeit an Vorstellung selbst dem wirklich krassesten Hinterbänkler eingeben sollte, wo er nicht heuchelnder selbst zufriedener Apparatschik sein muss, der seinen Wahlkreis längst vergessen hat, dann wäre bewiesen, dass Peter Hartz genial konstruiertes Regelwerk, dem Konsens der verblödeten parlamentarischen Demokratie geopfert worden ist – Peter Hartz somit in der für Interviewer immer bequemen Opferrolle. Das ist, ich muss es gestehen, für mich, und wie viel mehr noch für einen, der vielleicht sein ganzes Leben lang körperlich hart gearbeitet hat und jetzt zur Altersarmut per Gesetz verdonnert wird, sehr, sehr schwer zu verdauen, liebe ARD. Er ist ein blöder Quatschkopp, dieser Peter Hartz, es lohnt kein Interview mit dem. Er hat nichts zu sagen, was uns gesellschaftlich weiter brächte. Ihr bereitet ihm ein sozialkritisch getünchtes Forum, liebe Kollegen und drückt Euch darum, für die Durchschaubarkeit Partei zu ergreifen. Dieser Hartz-Themenabend war meinen Geschmack nach, freundlich ausgedrückt, voller Auslassungen und etwas sehr tendenziell.

Ich werde es in meinem Leben nicht vergessen: Es war der politische Wille unserer so genannten Entscheidungsträger, eine Armee von Abhängigen zu schaffen, die verrohen und zu jeder Mordtat bereit sind, notfalls dürfen sie die rechte Hand auch wieder offiziell zum Hitlergruß heben. Hauptsache alles bleibt beim Alten für die Geldanleger. Wenn sich der aalglatte ‚Tom „Tagesthemen“ Buhro‘ mit empört erhobener Stimme und öffentlich-rechtlichem Betroffenheitsgestus heute fragt, wie die Auswüchse des braunen Sumpfes im vereinten Deutschland zum Terror werden konnten, sollte man ihm vielleicht mit einer Gegenfrage antworten: haben sie das nicht bemerkt? Einige in diesem wiedervereinigten Deutschland instrumentalisieren von Anfang an nationale Besoffenheit und wenn nötig auch die ganz alte Nazischeiße für ihre Zwecke. Und sie halten das für genauso unbedenklich, wie seinerzeit das brave Bürgertum in der ersten deutschen Republik, sich einbildete, sie könnten den Hitler ‚an die Wand drücken bis er quietscht“. Irrtum vom Amt, wie wir heute wissen; der Komiker hat dem deutschen Staat nicht mal Steuern abgedrückt. Aber warum denn nun noch mal derselbe Fehler von denselben Leuten? Weil sie immer noch und schon wieder gar nicht ohne das können, dass sie jemand anstellen, der ihnen sagt, wie und für was sie zu existieren haben. Freiheit ist bei diesen Leuten heutzutage allenfalls, wenn sie als ewiges Werbeversprechen daherkommt. Die meisten bürgerlichen Freiheiten sind ihnen völlig entbehrlich, solange es ruhig bleibt und nicht allzu sehr stinkt im Staate Dänemark oder in dem beschriebenen Fall besser Holland, wo bei den Tranfergeldempfängern mit ein bisschen Zwangsarbeit alles locker und cool bleibt, und auch die Arbeitslosigkeit spitzenmäßig weit unten bleibt. Was für Beschäftigungsverhältnisse das sind, erzählt uns keiner – wir können es uns denken. Liebe Beitragmacher: Bringen sie das doch endlich mal zusammen und in Relation, Kollegin Knobel-Ulrich, wenn selbst außerhalb des Arbeitnehmerflügels der CDU es alle von den Dächern pfeifen: Immer weniger Menschen machern unter immer mörderischeren Bedingungen immer kranker machende Jobs, von denen sie sich und ihre Familien immer beschissener ernähren können, weltweit.

Die Alternative zu keiner Arbeit soll also Zwangsarbeit heißen, wie in Holland. Das ist völlig verblödet, liebe ARD-Autorin. Der Beitrag sagt es zwar nicht explizit, aber diese asoziale, diese sozialdarwinistische, kranke Kacke bleibt ‚alternativlos‘ an dem Stiefel kleben, der mich treten wird. Und dabei zeigt ihr ganz nach dem Geschmack von Sarrazin und sicher etwas weniger nach dem Geschmack des ‚Thüringer Heimatschutzes‘, nur höchst zufriedene, überwiegend schwarze holländische Zwangsarbeiter, die, genau wie die weißen, grünen, blauen oder gelben armen Arschlöcher gar keine Alternative habe dürfen sollen: verhungern, kriminell werden oder das machen, was man ihnen befiehlt – „Bulle oder Bruch“ ?

Die Freiheit, die die Zwangsbefürworter meinen, ist die Freiheit zu verhungern, wenn du dich nicht exakt nach ihren Regeln richtest. Das propagiert auch die Naziideologie und ihre Heilsversprechungen treten bekanntlich automatisch in Kraft, mit der Bereinigung von Staat und Gesellschaft, um den zum Sündenbock erkorenen Nichtsnützigen. Also, wo ist der Unterschied zwischen diesem und jenem Heil durch Zwang?

Einige Milliardäre meinen schon, die Alternative in einem Land in dem 13 Prozent der Superreichen nicht wissen wohin mit ihrer Kohle und es an der Börse verzocken lassen, worauf Staaten pleite gehen und Europa zerreißt, die erste Alternative könnte doch wohl eine saftige Vermögenssteuer sein. Soll heißen, das Geld aus dem Stall, in dem es stinkt und verfault, ins Freie bringen. Meinetwegen. Staatliche Beschäftigungsoffensiven zu angemessenen Konditionen, das heißt Würde und persönliche Integrität sichernde Beschäftigung und ein Mindestlohn, Branchen übergreifend, egal ob der ‚Arbeitgeber‘ Staat oder private Wirtschaft heißt. Meinetwegen. Wozu soll der Staat denn gut sein, wenn er das nicht mal gewähren kann, fragen sich nicht nur die Superreichen! Was der ARD-Beitrag also letztlich wollte, bleibt gänzlich unklar, bis auf den Teil, der den Arbeitszwang in den Niederlanden heilig spricht.

Wir wissen doch alle, die Alternative zum gewaltsamen Systemwechsel heißt: Geld abschöpfen, bei denen, die es sinnlos horten. Damit Bildung für alle ermöglichen, Schulen renovieren, den Bürgersteig vor meiner Haustür mal wieder pflastern, ein Gesundheitssystem finanzieren, das allen die bestmögliche Behandlung garantiert, allen, allen, allen! Vom Flüchtling bis zum Ministerialdirigenten. Sozialer Wohnungsbau! Eine Wohnungspolitik, die das Elend nicht in Wohnsilos und Problembezirke abschiebt, um es ja nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Eine Alters- und Daseinsvorsorge, die auch die allein erziehende Hilfsarbeiterin ruhig schlafen lässt, wenn sie an ihren Renteneintritt mit 78 denkt. Weil sie sich bis dahin nicht tot gearbeitet haben wird und noch zehn Jahre lang die Sau heraus lassen kann – bei der gestiegenen Lebenserwartung. Und, und, und. Es gibt noch soviel, aber die Sendezeit reicht nicht, und der Rest ist bekannt.

Die Forderungen lauten: Echte Demokratie jetzt, echter ökologischer Umbau jetzt, gerechte Daseinsvorsorge auch im Hinblick auf die kommenden unvermeidlichen hausgemachten Katastrophen, die über uns kommen werden (Klima etc.)Ein gutes Leben für alle auch für die nächsten Generationen, ab sofort. Das muss der Ausgangspunkt aller Überlegungen sein – ist er es aber? Anscheinend nicht, bei den Bossen und deren Handlangern, die sich immer noch gegen den an sich minimalen Verlust von Macht und Vermögen sperren, den sie hinnehmen müssten, mit der Einlösung des Gleichheitsversprechens der französischen Revolution.

Der durch Produktivkraft und Ausbeutung in unserer Gesellschaft unnütz angehäufte Reichtum muss solange abgeschöpft und nach unten umverteilt werden, bis wenigstens annähernd Parität in den Lebensverhältnissen aller hergestellt ist. Die Ausbeutung ist einzustellen. Danach brauchen wir auch keinen Zwang zur Arbeit mehr, dieses hirnlose Patentrezept aller Phantasielosen; die Zwangskommune, sie sei fern von uns! Zwang nützt nur noch solchen Strohköpfen, die ihre goldene Schnabeltasse dereinst in die Familiengruft mitzunehmen gedenken und darum fürchten, dass eine ‚barbarische Gesellschaft‘ schon ihre nächsten Nachkommen dieses Recht verwehren möchte.

Auf der Suche nach Peter Hartz (SWR/WDR) Film von Lutz Hachmeister
Die Hartz-Maschine (NDR) Geschäfte mit der Arbeitslosigkeit Film von Rita Knobel-Ulrich