Eine Kriminalkurzgeschichte in vier Folgen
Folge II – Menschlich gesehen
“Der Herrka ist ein kleines Licht und ein großer Spinner, aber davon gibt’s ja genug”, wandte sich der Untersuchungsrichter an den Staatsanwalt, der ihm am Limoautomat auflauerte. “Also wenn Sie da nicht mehr haben, der wohnt seit 20 Jahren in der gleichen Bude, hat keine Vorstrafen und eine Tatbeteiligung bei der Schießerei schließt die Kripo aus, also was wollen sie? Fürs Übernachten im Jobcenter kriegt er von mir kein Bett in Moabit. Am besten sie ziehen den Antrag zurück, Herr Kollege.”
“Aber Jessen, der weiß doch mehr, als er uns sagt, diese Geschichte mit dem Telefonat und den Hampelmännern auf dem Dachboden ist doch Humbug, da lenkt er doch ab. Und in ein paar Tagen können wir dann die polnischen Kollegen bemühen. Sie sind doch lange genug dabei, um zu wissen, wie sowas geht!”
“Martin, ich weiß, dass sie den Perstein nicht abkönnen, aber glauben sie mir, der kann ihnen genau sagen, wann der Herrka aufs Klo geht. Mit mehr werde ich ihnen beim besten Willen im Augenblick nicht dienen, Herr Kollega, es sei denn, sie sagen mir, warum sie so scharf auf den Herrka sind. Ziehen sie den Antrag nun zurück?”
Karl Heinz Jessen und Martin Limburg waren der gleiche Examensjahrgang; sie studierten die Jurisprudenz an der gleichen Uni bei den gleichen Professoren, aber mehr hatten sie nicht gemeinsam. In Jessens Familie gab es seit vier Generationen Juristen, die meisten davon waren Richter oder Staatsanwälte geworden, einer juristisches Allgemeingut, als er in der Ära Adenauer dem Staatssekretär Hans Globke missfiel, weil er mit der Praxis von Strafrechtskommentaren aus der Nazizeit aufzuräumen begann.
Martin Limburgs Eltern waren geschieden. Vater Limburg war Pfarrer in einem kleinen havelländischen Dorf, Martins Mutter Oberärztin in der Psychiatrie eines Kreiskrankenhauses. Limburg war ein glühender Verfechter der Theorie vom “Unrechtsstaat DDR” und ein Kommunistenfresser. Und er stimmte mit dem frühen Sebastian Haffner darin überein, dass die deutschen Kommunisten Hitler erst ermöglicht hätten, weil sie keine Demokraten sein wollten. Und also standen Faschisten und Kommunisten für Limburg auf einer Stufe. Wenn er etwas älter gewesen wäre, hätte er auch Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten werden können.
“Es wird mir ja nichts anderes übrigbleiben, sie Menschenfreund”, entgegnete Martin Limburg dem Richter, und seine Stimme nahm auf den Worten “sie Menschenfreund” einen unchristlich spitzen Klang an, etwa dem eines preußischen Oberleutnants vergleichbar, der ein Dienstmädchen geschwängert hat und nun den Vater derselben zum Duell fordert, falls er seine Dreistigkeiten sowie seine schandhafte Tochter nicht zurücknehmen will. “Ach wissen sie”, entgegnete Jessen, “sie haben doch im Grunde auch Freunde unter den Menschen, oder? Es muss ja nicht jeder Mensch so satisfaktionsfähig wie sie sein, Limburg.”
Nach gut vier Stunden war Herrka wieder auf freiem Fuß und in seiner Charlottenburger Wohnung. Es ärgerte ihn, dass er den Beamten die Geschichte mit dem Telefonat überhaupt erzählt hatte und noch mehr, dass er nicht einfach die Finger von der ganzen kruden Sache gelassen hatte. In seinem eintönigen Leben war etwas passiert, und dem war er wie ein Depp auf den Leim gegangen. Selber Schuld, dachte er, und beschloss einige Tage in der Gartenlaube eines Freundes zu verbringen, um die Sache zu vergessen. Er klaubte Körperreinigungsutensilien und ein paar Klamotten zusammen, und sah sich nach einer geeigneten Lektüre für den Garten um. Vielleicht “Der Schupfen”, nein – vier ungelesenen “Ed McBains”, bloß nicht – “Die Kartause” vielleicht oder besser, ja: “Jürg Jenatsch” war schon mal sehr gut und dann noch Gionos “Deserteur”, so war ihm jetzt. Bloß weit weg. Als er mit dem dicken alten Bundeswehrrucksack auf dem Rücken vor die Tür trat, bat ihn Juppi, der Mann der ihn nächtlings in den Bauch getreten hatte, um eine Unterredung.
“Herr Herrka, ich komme, um mich bei Ihnen zu entschuldigen. Aber ich musste davon ausgehen, dass sie was mit der Schießerei zu tun haben. Wie geht’s ihnen?” – “Also das ist jetzt wirklich der Gipfel! Was spitzeln sie mir denn jetzt hier nach, sie sind wohl rund um die Uhr Bulle, was? Macht’s ihnen Spaß mir auf den Sack zu gehen?” – “Ne, Herr Herrka, ich bin nicht im Dienst, in diesem Fall wirklich nicht. Und wenn sie jetzt vorhaben, zu verreisen, noch weniger. Dann hat der Staatsanwalt nämlich genau was er braucht, um sie doch noch einzubuchten, verstehen sie? Ich fliege dann, wie ich es vorhatte, zu meiner Freundin nach Algerien. Und denn sprechen wir uns in drei Wochen wieder, nach ihrem Haftprüfungstermin – das nächste Mal allerdings im Dienst. Also, wohin soll’s denn gehen, Herr Herrka?” – “Das geht sie einen feuchten Kehricht an. Beschatten sie mich doch, oder wie ihr Bullen dazu sagt, dann wissen sie ’s.” – “Herrka, auch wenn sie mir das jetzt nicht glauben können, ich mein’s wirklich gut. Haben sie schon was gefrühstückt? Lassen sie uns doch in der Bäckerei da drüben einen Kaffee trinken. Ich möchte die Geschichte mit dem Telefonat noch mal von ihnen wissen, und zwar ganz genau, alles woran sie sich erinnern, ist ja noch nicht so lange her. Ich glaube nämlich nicht, dass sie das erfunden haben. Der Staatsanwalt ist da aber anderer Meinung. Und ich frage mich, warum er meint, sie wollten uns da von was ablenken und wüssten mehr. Vielleicht will uns ja der Herr Staatsanwalt von was ablenken, was meinen sie? Übrigens haben sie ganz großes Schwein gehabt, dass der Richter das auch anders gesehen hat, als der Staatsanwalt. Sonst säßen Sie nämlich jetzt in Moabit, Herrka. Wenn sie jetzt mit unbekanntem Ziel, na sagen wir mal, verreisen, könnten Böswillige sich daraus einen Haftgrund basteln! Wissen sie, was ich meine?”
“Ich verstehe rein gar nix, und ich will es auch gar nicht verstehen – im Grunde ist mir das alles zu viel, alles: der Quatsch, den sie mir da erzählen, ist für mich genauso unwirklich, wie Werners Anruf gestern Morgen, wie die Nachrichten im Radio oder Mariae unbefleckte Empfängnis, verstehen sie jetzt was ich meine? Was hat mich nur geritten in diesem Scheißgebäude zu übernachten?” Herrkas Stimme baute näher und näher am Wasser.
“Kommen sie, eine halbe Stunde, ein, zwei Plunderteilchen, eine Tasse Kaffee, da können sie nichts falsch machen Herrka, bitte!” – “Meinetwegen, weil sie so schön “bitte” sagen und so schöne blaue Augen haben.”
Aus der Unterredung in der Bäckerei wurde ein dreistündiges Gespräch. Als die Männer sich verabschiedeten, hatten beide das Gefühl, dem anderen über den Weg trauen zu können. “Ich kann sie noch dahin fahren, in ihre Laube”, bot Juppi an. “Ne, ne, nach allem was sie mir da erzählt haben, isses wohl besser, ich nehme die S-Bahn”, erwiderte Herrka. “Das wäre nicht so schlimm, aber sie haben Recht, besser sie nehmen die S-Bahn, wenn sie fährt!” Herrka grinste, deutete mit dem Zeigefinger leicht auf Juppi und machte sich ohne ein weiteres Wort des Abschieds auf zum S-Bahnhof Charlottenburg, wo der Zug nach Potsdam gerade einrollte.
Die Untersuchung der Projektile von der Jobcenter-Schießerei ergab keine Übereinstimmung mit irgendeiner bekannten Waffe aus der Kartei. Die Spurensuche sammelte fleißig, doch nichts davon war irgendwie zu verwerten. Manchmal macht sich die Sammelwut viel später bezahlt, aber in diesem Fall schien es wirklich aussichtslos. Publikumsverkehr gab es im 12. Stockwerk des Jobcenters im Gegensatz zu den Etagen darunter kaum. Manchmal verirrte sich hierher wohl eine Fahrradkurierin oder ein Journalist, der eingeladen war, eine weitere Erfolgsmeldung zu der Story “Fördern und Fordern” in Empfang zu nehmen. Der giftgrüne Lackpömps, den Herrka nicht loslassen wollte, war der Kriminaltechnik zufolge nahezu ungetragen. Wie sich herausstellte, stammte er von einer Shopping Tour in der Mittagspause und war aus einem Schuhkarton, der in der untersten unabgeschlossenen Schreibtischschublade von einer Mitarbeiterin im Zwölften zwischengelagert wurde. Sie hatte auch vergessen ihr Büro abzuschließen; und der indiskrete Herrka, dem der Farbton an eine Handtasche seine Mutter erinnerte, hatte beide nigelnagelneuen Pömps aus dem nigelnagelneuen Schuhkarton geklaut. Bei der Ballerei in Panik geraten, ging er des Schuhkartons und des einen Pömps leider verlustig. Letzterer fand sich jedoch im Treppenhaus wieder und war ebenfalls nicht öfter als zweimal getragen. Ein unscheinbares Detail konnte den Forensikern jedoch nicht aufstoßen, denn es befand sich in Herrkas Gesäßtasche und war den Beamten bei der Visitation durch die Lappen gegangen. Ein zerknüllter Zettel, auf dem nichts stand. Herrka hatte ihn Juppi in der Bäckerei anvertraut.
Giesbert Treusch, 54 Jahre, Witwer, wohnhaft in einem hübschen Kleinmachnower Einfamilienhaus, Baujahr 1920 war bemüht, den Imageschaden für seine Institution in Grenzen zu halten: Mit geringerem Erfolg, denn seine Institution hatte ohnehin ein ganz mieses Image. Natürlich lag das nicht an der Behörde und deren Mitarbeiter, sondern daran, dass diese und das Gesetz, das ihr zugrunde lag, politisch schlecht gearbeitet waren. Die Schuld lag bei den Politiker. Eindeutig. Vielleicht war es sogar ein klein wenig unangebracht, ein paar Hasardeuren aus dem privaten Bankensektor, ein paar Bankrotteuren aus der Finanzwirtschaft, Milliarden in den Rachen zu werfen. Unter dem Gesichtspunkt der alltäglichen, entnervenden Erfahrungen mit der schmarotzenden Klientel, war es das gewiss. Und deshalb schickte Treusch seine Tochter auch vorsorglich auf die Waldorfschule und nicht in die staatliche. Trotzdem wünschte sich Giesbert Treusch in mancherlei Hinsicht das gute alte Sozialamtsmodel zurück, in dem er selbst gedient hatte. Auch dort hatte es Scherereien mit den Sozialhilfeempfängern gegeben, aber die waren verglichen mit dem was jetzt hier passierte ja geradezu folkloristisch. Und jetzt war das Haus abzubezahlen und es fehlte das zweite Einkommen. Die Schule und das Kind überhaupt fraßen ihm die Haare vom Kopf. Der Schein wollte gewahrt, der gesellschaftliche Status musste aufrecht erhalten werden. Das Geld wurde knapp.
Auf die drei bis vier kleinen Abstecher, wie Treusch das nannte, konnte er nicht verzichten. Kurzreisen übers Wochenende zu Opernbesuchen in den europäischen Metropolen, Übernachtung in erstklassigen Hotels, Nachtmal mindestens in einem 5-Sterne-Schuppen, besonders schwärmte er für Mailland oder besser: dessen kulinarische Umgebung, wie er sich auszudrücken pflegte. Auf den dunkelbraun lackierten Maserati Mistral, den er sich erst kurz vor der Erkrankung seiner Gattin zugelegt hatte, wollte er auf keinen Fall verzichten; eher hätte er seine Tochter in die Sklaverei verkauft. Doch die Ausgabenseite wuchs schneller als die der Einnahmen. Wenngleich Treusch ein hervorragender Vortragsredner war, der gerne angefragt wurde, weil er kein “Blatt vor den Mund nahm”, wie ihm vonseiten der einladenden Sozialwissenschaftler immer wieder bestätigt wurde; Treusch hätte es lieber gesehen, wenn ernstzunehmende Vertreter der privaten Rentenversicherer, Krankenhauskonzerne, Banker und Vordenken aus den liberalen Think Tanks an seinen Lippen gehangen hätten. Aber die fragten ihn nicht an.
Treusch war kurz gesagt der Ansicht, dass es einfach zu viele Transfergeldempfänger gab und zu viel “Wischiwaschi”, wie mit ihnen zu verfahren sei. Keine solide gesetzliche Grundlage, keine brauchbaren Ausführungsvorschriften und also Ermessensspielräume, die nichts taugten und endlich dementsprechend die peinliche öffentliche Einmischung des Justizapparates in seine alltäglichen Angelegenheiten zur Folge hatten. Das alles konnte er als Sprecher seiner Behörde der Presse natürlich so nicht erzählen. Und die Presse stand Schlange nach der Sache auf dem Dachboden. Manchmal fragte sich Treusch, wie viele Türen des Nachts eigentlich tatsächlich im Gebäude nicht abgeschlossen wurden. Kein Wunder. Die Leute waren ein zusammengewürfelter Haufen, nichts wert, hielten nichts aus, wurden alle Nase lang krank – Personalüberhangmaterial, notdürftig zusammengeschusterte Abteilungen, die überflüssigerweise auch noch alle drei Jahre umstrukturiert werden mussten, um einzusparen oder einen tollen Erfolg beim Abbau überflüssiger Bürokratie vermelden zu können. Alles Murx. Murx ist die Praxis, dachte er, aber Gott dem Allmächtigen sei es gedankt, ist Marx bei uns nicht die Theorie Wenn wir allerdings so weitermachen müssen, dann wird sie es vielleicht demnächst. Und vor diesem Gespenst hatte der Amtmann fürchterliche Angst. Also ging er, unbefriedigt trotz seiner eigenen kühnen Gedanken, in die Mittagspause. Treusch musste auf seine Mahlzeit in der viel besseren Kantine des Finanzamts neuerdings verzichten und im Hause speisen, wenn man das so nennen konnte. Dennoch war er häufiger zu Tisch, als dies seine Vorzimmerdame so nennen konnte, die gar nicht mehr nachkam, mit der Erfindung von Lügengeschichten, in welchem lebensnotwendigen Meeting sich ihr Vorgesetzter nun schon wieder wahrscheinlich befinden möchte.
Als sich Treusch das Glasschälchen mit der auf Wasserbasis bereiteten roten Grütze aufs Tablett stellte, verfluchte er innerlich das Schneckentempo der Ermittlung im Selbstmordfalle Werner Schmitt. Dieser Idiot, kochte Treusch, doch sein Gesicht blieb ausdruckslos dabei, dieser Volltrottel, der der Welt etwas zu beweisen gedachte. Der die Welt vielleicht sogar verändern wollte. Und hier entfuhr ihm ganz ohne einen für Außenstehende ersichtlichen Grund, der schrille spöttische Lacher. Treusch blickte sich um, niemand schien die kurzzeitige Entgleisung aufgefallen. Und indem Treusch das Tablett auf einem unbesetzten Tisch abstellte, den nach Anerkennung heischenden Blick eines Angestellten missachtete und sein Besteck in Reih und Glied antreten ließ, stellte er fest: Dieser Vollidiot verfault jetzt, und es könnte mir völlig wurscht sein, aber die Hoffärtigkeit zu besitzen, mit dem eigenen, miesen kleinkarierten Leid fremde Menschen zu beschäftigen. Was für ein Arschloch. Was der sich herausnimmt, dieser Wurm, der noch bis vor kurzem selbst hier auf der Matte stand. Das konnte der Treusch dem Wachmann nicht verzeihen, diese Borniertheit, wie er es nannte.
Tags darauf kam Juppi Perstein unangemeldet in Treuschs Büro und erfuhr von seiner Mitarbeiterin, dass Giesbert Treusch sich krankheitshalber vier Tage abgemeldet, jedoch nicht krankgemeldet, sondern Urlaub genommen habe. “Manchmal ist er ein klein wenig zu korrekt”, erklärte die Dame, die ein der Jahreszeit entsprechendes geblümtes Kostüm aus minzgrüner Seide trug. Rechts neben ihrem Schreibtisch standen kokett eine paar aufreizende schwarze Lacklederpömps. Während Perstein ihr ebenfalls lackierten Fußnägel betrachtete, kam ihm ein Gedanke.
“Welche Schuhgröße haben sie, wenn man fragen darf?”
“Sie dürfen nicht, es sei denn sie verraten mir ihre”, antwortete die Mitarbeiterin, die ihre lackierten Fußnägel unter den Blicken von Juppi Perstein auf einmal kritisch betrachtete. Sie blickte jetzt zu dem athletischen Typen auf und stellte fest, dass er sehr frisch aussah, erstaunlich frisch.
“46″, schnurrte Juppi, “aber leider habe ich zwei unterschiedlich große Füße. Es ist wirklich ein Drama für mich anständige Schuhe zu finden, die mir gefallen und auch noch an beiden Füßen passen.” Das hatte offensichtlich gesessen. Denn die Dame bot ihm nun durch die Blume an, dass sie ihm beim nächsten Schuhkauf gerne behilflich sein würde, er könne ohne Scheu darauf zurückkommen, wenn es bei ihm wieder mal soweit sei, denn sie wäre wohl zweifellos eine Expertin, nicht nur für Damen-, sondern auch für Herrenschuhe.
“Ach, könnten sie mir unter Umständen ihre Handynummer mitgeben? Nur, falls ich ermittlungstechnisch noch irgendwelche Fragen an sie haben sollte?” – “Ich habe kein Handy”, log die Brünette, “aber sie wissen ja, wo ich von Montag bis Donnerstag zu erreichen bin.” – “Ja, ach und noch eine Kleinigkeit”, log nun auch der Hauptkommissar, “wissen sie zufällig, wohin es ihren Chef gezogen hat?”
“Nach Mailland”, gab die Dame sehr kühl zurück, denn ihr war nun vollends Persteins Absicht aufgegangen, zwar spät aber noch nicht zu spät. Sie fand es unfair, dass der ansehnliche Mann sie nur umgarnt zu haben schien, um sie auszuhorchen und wollte das den Kindskopf spüren lassen. Der KomJupp hielt es im Augenblick für zwecklos, sie nach dem Hotel zu fragen, in dem sich Treusch in dieser Nacht in Mailand aufhalten würde.
“Die Schuhe führen uns kein Stück weiter”, brüllte Juppi in die billige Freisprechanlage, die er irgendwann eigenhändig auf die abgeschabte Konsole seines alten Citroën DS geklebt hatte. “Und was haben wir sonst?” Ein guter alter Kollege, der seit seinem Rauswurf bei der Wasserschutzpolizei privat ermittelte, brüllte seinerseits in das Handy, das er mit der einen Hand an sein Ohr presste, während er mit der anderen am Ruder eines geliehenen Speedbootes fingerte und dabei kurzzeitig in eine nur für Außenstehende bedenkliche Schieflage geriet.
“Mann, jetzt halt doch mal an, Du Irrer”, plärrte Juppi in die Freisprechanlage, “man versteht ja kein Wort.” Das dröhnende Geräusch, das verzerrt aus den schlechten kleinen Lautsprecher drang, wurde leiser und verstummte dann ganz. Perstein meinte Wellen zu hören, die an die Bootswand stießen, aber es waren leider die Blubbse der Hydraulik seiner eigenen Schüssel.
“Was hast Du gerade gesagt?” – “Dass Du Dein teures Spielzeug mal bremsen sollst.” – “Bremsen, typisch Landratte. Holst du mich in Kladow ab, falls Deine Rostschüssel es noch bis dahin schafft? – “Stinker, wage dich ja nicht, meine Auto zu beleidigen, sonst schicke ich Dir eine paar von meinen ehemaligen politischen Freunden, die dir das Spielzeug abfackeln, das du dir von dem Angeber geborgt hast.”
Am Steg in Kladow nahm Juppi seine Freund und Kollegen, die Wasserratte Alois Stänker in Empfang. Sie ballten die rechte Faust zum Arbeitergruß, sprachen wenig und fuhren Richtung Potsdam, wo sie mit Herrka verabredet waren. Es wurde dunkel über der BRD. Im Mailänder Teatro alla Scala ging der Vorhang zu einer mittelprächtigen Inszenierung auf, die zudem teilbestreikt wurde. Mindestens ein Dutzend weniger Balletthäschen in Charles Gounods Fünfakter “Faust” waren die Folge. Treusch schien vom Pech verfolgt und verließ das Theater in der Pause, um sich ein ausgedehntes Nachtmahl in der Via Privata della Bindellina zu gönnen.
Nächsten Sonntag lesen Sie hier die Folge III - Risotto Bitter Mandel.