Die Legende vom Unglauben – Folge VIII

Kohlfelder soweit das Auge reicht

Im Winter, wenn der Ackerbau ruht, werden die Wanderarbeiter weggeschickt. Nur wenigen dürfen bleiben, die sich um das Vieh kümmern und um den Haushalt der ultrareichen Städter, die wegen der zusammengebrochenen Nahrungsmittelindustrie immer häufiger gestandene Bauern aus ihren Habitaten vertreiben und die Gewächshäuser danach von ausgemergelten Gestalten bewirtschaften lassen, die von ihrem Grund schon vor Zeiten durch die Privatarmeen der Reichen vertrieben worden sind. Das Geschäft mit den durch Sklavenarbeiter produzierten und von Söldnern beschützten Nahrungsmitteln ist eine Goldgrube. Bei den Gelagen der Oligarchie in ihren befestigten städtischen Wohnburgen herrscht Goldgräberstimmung, wie vor der Eiszeit. Man isst wieder rohes Gemüse. Das nach den vielen kleinen atomaren, biologischen und klimatologischen Kriegen überhaupt wieder irgend etwas wächst, grenzt an ein Wunder, erzählt ein Bioingenieur in den Diensten von Kolchos. So nennt sich ein Exgeneral, der auch vor dem neuerlichen Boom der konventionellen Landwirtschaft sein gutes Auskommen hatte, mit der Produktion von Aerosolen und dem Betrieb mehrerer Carnini-Schlächtereien.

„Nun, man muss immer mit der Zeit gehen. Mann muss flexibel bleiben und sich den unveränderlichen Konstanten der Märkte anpassen. Man darf sich dem Schicksal nicht in den Weg stellen, verehrter Doktor.“ „Sie, Kolchos und alle, die wie Sie sind und denen man sich nicht beizeiten in den Weg stellt, sind das Schicksal. Aber ich glaube nun mal nicht an das, was sie Schicksal nennen. Ich glaube nur an Gewalt zur Durchsetzung von Interessen. Gewalt ist ein Naturgesetz. Und sie sind nicht mein Schicksal.“ – „Vielleicht, vielleicht auch nicht Doktorchen, aber das wäre wohl eher eine Konversation für Reformer und Salonpazifisten wie sie das 21. Jahrhundert noch kannte, meinen sie nicht auch? Darf ich ihnen meinen Sohn vorstellen, er ist gerade 48 geworden, ja ich zähle immer noch die Jahre, als ob wir sterblich wären, hahahaha. Und nun möchte der kleine Racker unbedingt Sexualstimulanz praktizieren, bevor er in meinen Aerosolfabriken die höhere Drogenlaufbahn antritt. Er hat den Wusch geäußert, dass sie ihn einführen, sie sind doch gesund, oder?“ –  „Nun. Ich habe eine altertümliche HIV-Infektion. Aber sie wissen ja, dass das bei der Zuchtwahl von Vorteil sein kann. Kommt ganz auf das Genmaterial an, das sie ihrem Sprössling gekauft haben.“ –  „Er ist positiv gezüchtet. Meine 38. Gespielin wollte das so. Für meine Begriffe ein bisschen zu positiv. Glückshormone als Nebeneffekt des HI Virus, das ist mir ein bisschen wie soll ich sagen, zu schwul, Hahahahaha. Aber meinetwegen, also wenn sie ihm den Gefallen tun wollen, ich habe eine sündhaft teure Meditationsoase im 87. Stock bauen lassen, die kaum einer benutzt, QSL. Ich brauche so was ja wirklich nicht.“ –  „Sie sind aber auch ein durch und durch ausgeglichenes Individuum, Kolchos.

Na dann wollen wir mal ans Werk gehen, äh …..“ –  „Oboist, ich nenne mich zur Zeit Oboist. Danke Vater! Und sie? In welchem Intevall wechseln sie ihre Identifikationsdeklaration und wie lautet die gerade?“ – “ Oboist, soso, wie treffend. Nun Oboist, ich habe noch nie Identifikationsdeklarationen benutzt, meine Identität ist in 300 Jahren immer dieselbe geblieben.“ – „Sie Ärmster, das ist ja nussbaum!“ Weißt du denn, was ein Nussbaum ist, Junge? Na ja, ist schon gut.“ „Wieso ein Nussbaum? Nussbaum ist die Farbe von frischem Carninitran. Das weiß doch jeder, oder was dachten sie?“ – „Eine Farbe also, interessant, was von den wirklichen Dinge in der Sprache überlebt. Denn die Sprache ist sterblich geblieben, und welche Bedeutungen die Töne bekommen haben. – – – Früher, Junge, gehörte der Nußbaum zur Flora. Aus seinem Stamm machte man Möbel – ach, das kennst du ja auch nicht, also Möbel, das waren Materialcontainer aus einem nachwachsenden Rohstoff, das man Holz nannte, wie dein Kopf Junge, klopfe mal dagegen, dann weißt du, was Holz war. Heutzutage gibt es das nur noch syntetisch, weil die Bäume schon lange ausgerottet sind. So Junge, und jetzt gebe ich dir noch eine Nuss zu knacken: Ich habe noch das, was man in bunter Vorzeit bei den gleichberechtigt Sterblichen einen Namen nannte, nenn‘ mich einfach OSL, wenn du willst auch Doc QSL.“ – „Ich mag, wie sie reden, Doc QSL,“ wisperte Oboist ungezwungen ins Falsett fallend.