Die Legende vom Unglauben – Folge IX

Die beste aller möglichen Welten

Die Meditationsoase im 87. Stockwerk bestand im Wesentlichen aus einer viereinghalb Meter starken Bodenbedeckung mit konstant temperiertem Polyethylenschleim, der die Körper bei 39 Grad Celsius in sich aufnahm, wie der Utherus ein sich einnistendes Ei. Der Doktor war einen Augenblick lang begeistert, bis ihm einfiel, dass seine Organreparaturbakterien die Temperatur übel nehmen könnten. Für diesen Fall hatte er zwar eine Ampulle Ice an seinem Medizingürtel, das die Bakterien für die Dauer der Übung in Stasis versetzen würde, aber es war die letzte Ampulle und das MIttel schwer zu beschaffen, doch rechnete der Doktor damit, dass Kolchos dies ohne Weiteres bewerkstelligen könne. Oboist, nahm die Zögerlichkeit wahr und bezog sie auf sich. Tränen standen ihm in den Augen. Der Doktor erklärte, setzte sich den Druck und die Gesichtszüge des reichen Erben nahmen wieder ihre gewohnte heitere Ausdruckslosigkeit an. „Wollen sie Quis?“ fragte er. „Nein Junge, kein Quisarin heute, und ich rate dir, den Nebel gar nicht erst einzuschalten, es kommt besser so, die Endorphine aus meinem Blutkreislauf sind viel erquicklicher, gaub‘ mir!“

Sie schwammen jetzt nebeneinander im Polyethylenschleim und entkleideten sich wie in der Schwerelosikeit des Alls. Die Kleidungstücke sanken zu Boden und wurden von dressierten Riesenkäfern mit deren Körpersekreten desinfiziert und dann säuberlich zusammengefaltet in einer verborgenen Glastruhe am Ausgang der Oase deponiert. Die Nacktheit der Organismen, die neben-, über-, und untereinander schwammen, bewirkte eine Veränderung des Aggregatzustands im Polyethylenschleim, der jetzt eine vom Grünen ins Indigo changierende schillernde Nabelschnur ausbildete, die sich an den Bauchnabeln der Menschen festsetzte und eine Enzym ausschied.

Das Körpergewebe der Bauchnabel verschmolz mit der Polyethylennabelschnur. Die Blutkreisläufe der Männer konnte ihre Botenstoffe vermischen. Die Erinnerungen des Alten und des Jüngeren vermengten sich zu einem Erleben. Zuerst war es sagenhaft. Doch ebenso plötzlich musste der Doc mit seinen Endorphinen gegen Oboists Alp von den ledernen Hautfetzen in seinem Handinneren ankämpfen, die sich zu soetwas wie Sofakissenknöpfen verwandelten. Als nächstes halluzinierte er hunderte kleine, mit ihrem Austritt aus der Haut sofort verdorrende Leguanextremitäten über seinem Rücken und an seinem Nacken. Seine Mutter rief nach ihm und er brüllte wie am Spieß. Da konnte auch der Doktor seine Alps nicht mehr stoppen – der Gestank der brennenden Maisfelder stieg in ihm wieder auf, er blutete aus der Nase. Der Adreanlinspiegel stieg kontinuierlich und verteilte sich auf beide Blutkreisläufe. Jetzt befielen auch ihn die Halluzinationen und er wusste nicht, ob es die seinen waren. Er bemerkte sein offenes linkes Bein, kleinere und größere Fleischwunden, Blut quoll in klienen Rinnsalen hervor und rechts unterhalb der Wade blühte ein roter Schwamm der die Form eines natürlicher Schwamms für die Badewanne (Fischlein rot) hatte.

Etwas später verschlossen sich die Wunden und darunter waberte und wuchs etwas. Dann brachen große Stachel durch die Haut. Ableger bildeten sich im Bauchfett. Der Doktor fühlte sich wie in einer selbsorganisierten, wenngleich zur Identifikation mit fremdem persönlichen Leid unfähigen Gesellschaft. Sie fand nichts dabei, dass er rote Schwämme am Schienenbein trug und ihn Stachel aus dem Bauch sprießten. Er musste einen Freund, der weit weg war anrufen um Näheres zu erfahren. Der war mit anderen Sachen beschäftigt und kurz angebunden. Er erklärte QLS in einem Ton, als ob es nicht so schlimm wäre, das die Krankheit vom Verzehr einer Biokäsesorte herkäme, genauer von dessen Rinde. Sehr schön, es half aber nicht weiter. Die lebendigen Stachelbeulen bewegten sich Richtung Geschlecht. Der Doktor musste nun befürchten, das sich das Fremde sein Erbgut holen wollte, um damit ein Ungeheuer zu zeugen. Er riss die Beulen am Bauchfett mit seinen Händen auf. Das ging sehr leicht, die Haut war von den Enzymen des Schleims aufgeweicht. Das Fett darunter war weißlich gelb und klumpig. Es geklang ihm einige der Stachel auszureißen. Der Prozess stoppte oder verlangsamt sich zumindest.

Da riss der junge Oboist sich die künstliche Nabelschnur aus und blutete aus Nabel und Ohren. Die Käfer kamen schließlich gerade noch rechtzeitig und verschafften den an sich selbst leidenden Menschen durch ein Hormon in ihren Duftstoffen den Koitus interruptus, bevor das Blut der Menschen ihnen zum Dank die Chitinpanzer jämmerlich verätzte.

Kolchos war alarmiert worden und eilte zum Eingang der Oase. Seine Regulatoren hatten den Auftrag den Doktor sterblich zu machen. Doch der Sohn flehte ihn an und ereichte im letzten Augenblick, dass Kolchos den Befehl zurücknahm. So nahe, wie bei diesem unglücklichen Versuch, war Oboist noch nie einem Menschen gekommen. Initiation und Ritus war also genüge getan, nur der Sex hätte besser sein sollen. Vielleicht wäre etwas Quisarin doch nicht schlecht gewesen, dachte Oboist. Der Doktor wusste, dass es zwecklos war, Kolchos nach all dem zu bitten, seine Beziehungen spielen zu lassen, um ihm ein paar Ampullen Ice zu beschaffen.