„Die Arbeiter an ihre Brüder“

Frei nach dem Türkischen
1866 von Georg Herwegh

Wir schüren in den Essen
Die Feuer Tag und Nacht,
Am Webstuhl, an den Pressen
Steht unsre Friedenswacht.

Wir schürfen in dem Qualme
Der Gruben nach Metall,
Den Segen goldner Halme
Dankt uns der Erdenball.

Doch wenn das Korn gedroschen,
Dann heißt es: Stroh als Lohn,
Dann heißt’s – für uns den Groschen,
Den Taler dem Patron.

Dann heißt’s: für uns den Schragen,
Das weiche Bett dem Gauch!
Dann heißt’s: Nichts in den Magen
Und Kugeln in den Bauch!

Vergebens aus der Tiefe
Steigt der Beraubten Chor,
Mit seinem Vollmachtsbriefe
Ans Glück, zum Licht empor.

Was hilft es, daß wir trotzen,
Solang noch mordbereit
Ihr gegen uns den Protzen
Die starken Arme leiht?

O weh, daß ihr im Bunde
Mit ihnen uns verließt
Und daß ihr uns wie Hunde
Auf ihr Geheiß erschießt!

Ach, wenn sie euch nicht hätten,
Wär alles wohlbestellt;
Auf euren Bajonetten
Ruht die verkehrte Welt.

An euren Bajonetten
Klebt aller Zeiten Fluch;
Wir trügen keine Ketten,
Trügt ihr kein buntes Tuch;

Wir brauchten nicht zu fronen
Für Sultan und Vezier,
Nicht länger für die Drohnen
Zu darben brauchten wir.

Wir hätten nicht zu beben
Vor Pascha oder Scheik
Und könnten bald erleben
Den großen Fürstenstreik.

Durch euch sind wir verraten,
Durch euch verkauft allein
Wann stellt ihr, o Soldaten,
Die Arbeit endlich ein?

Georg Friedrich Rudolf Theodor Andreas Herwegh wurde am 31.05.1817 in Stuttgart geboren, er starb am 07.04.1875 in Lichtenthal bei Baden-Baden. Er war ein revolutionärer gebürtiger deutscher Dichter des Vormärz und Übersetzer, der auf eigenen Wunsch ab 1843 auch die Schweizer Staatsbürgerschaft hatte. Im 19. Jahrhundert war er neben Heinrich Heine und Ferdinand Freiligrath einer der populärsten deutschsprachigen politischen Lyriker und neben Georg Weerth einer der bedeutendsten mit der deutschen Arbeiterbewegung verbundener Dichter.  Der Sohn eines Mundkochs besuchte das Gymnasium in Stuttgart, die Lateinschule in Balingen, das theologische Seminar in Maulbronn und das Tübinger Stift, wurde von letzterem aber vor Ablauf eines Jahrs wegen Insubordination relegiert. 1839 emigrierte er in die Schweiz und lebte dann ab 1843 in Paris, wo er mit Heinrich Heine und Karl Marx verkehrte. Herwegh versuchte im April 1848 mit einer deutschen Legion in die Revolution in Baden einzugreifen und floh nach der Niederlage in die Schweiz. 1866 konnte er aufgrund einer Amnestie nach Deutschland zurückkehren.
(Quelle: de.wikipediaProjekt Gutenberg, AQ!)