Positives Denken und Bellizismus

Eine gefällige Form von unappetitlicher bis wütender Polemik, die es stets gab, wird derzeit in den Qualitätsmedien TAZ, Spiegel, Focus, FR, ND und FAZ so wie im ö.r.R. bei ARD und ZDF, auffällig öfter als in Friedenszeiten zu diffamierender Schmähung aufgebläht, mindestens jedoch in affektierten Tendenzjournalismus konvertiert – ohne Verstand ohne Esprit. Das muss beschämen und beleidigen, die sich noch erinnern, wie Qualität im Journalismus fachlich hergestellt wird – mit gutem Stil, Sachkenntnis, Redlichkeit und Beschränkung auf’s Wesentliche, um zu garantieren, das kein pöbelhafter Meinungsjournalismus heraus quillt, wo engagierte faktenbasierte Recherche drauf steht.

Die infantile Rezeption des jüngsten Habermas-Gastkommentars in der Süddeutschen Zeitung  ist nicht der einzige Rülpser in der Manie ahnungsloser Lohnschreiber.  Das legt die schlimme Befürchtung nahe, die Branche sei bereits mehrheitlich eingeschwenkt auf den dornigen aber nicht mehr halb so schmutzigen Trampelpfad an die „Heimatfront“: Auch (geldwerte) Vorteile für einen Berichterstatter, der vollumfänglich in die Kampfhandlungen eingbettet wird, sind vorstellbar.

Die schlängelnde Argumentation und den halben Kosmos der bürgerlichen Siegfried(en) – Fraktion offenbart die Lektüre eines Gastkommentars in der NZZ, der bereits im März 2022 erschien. Der österreichische Rechtsphilosoph und theoretische Kriminologe Peter Strasser erläutert darin seine Sicht auf Habermas und die Dominanz der aus Strassers Sicht marxistisch geprägten „westeuropäischen Meinungseliten“. Strasser stellt die rhetorische Frage, ob diese „zu lange an einem unerfüllbaren Programm gehangen haben“. Er unterstellt dem so vorab skizzierten Teil einer „europäischen Intelligenz“ eine „eigene antidemokratische Denktradition“, um schließlich ein Scheitern der bisherigen realitätsfernen Strategien der durch sie beratenen Gesellschaften zu deduzieren. Damit sei eine  ‚europäische Identität‘ (Singular) bedroht. Eine singuläre Identität mit abgegrenzter und abgrenzender Definition, ohne strenges Grenzregime keine Identität.

Dieser Bedrohung begegne wirksam nur eine „gemeinsame Politik der Stabilität“ nach innen, referiert Strasser. In der Lesart der bürgerlichen Realpolitik zum jetzigen Zeitpunkt bedeutet das freilich – trotz letzter angestrengter liberal-rudimentärer Vorbehalte – eine weitere innere Aufrüstung der Exekutive und die Effizienzsteigerung der Innenschlagkraft der Nationalstaaten. In der BRD impliziert das Organ übergreifend die weitreichende Aufweichung gerade jener Bestandteile eines ziemlich wohlgeratenen Grundgesetzes, die angesichts ihrer noch lebendigen Erfahrungen mit Krieg und Faschismus durch die Architekten der Verfassung  – u.z. aus zwingendem Grund dort hinein gelangten. Das firmierte zuweilen unter dem Schlagwort „wehrhafte Demokratie“. Heute ist etwas ganz Anderes damit gemeint: Der verneinende böse Geist, der das Gute schafft, indem er ein bisschen von dem Guten weg haut, weil es nicht mehr zum Eifer einer von Reform zu Reförmchen sich flickschusternden Gesetzgebung passt, die das Unliebsame in der Verfassung ohne großes Aufsehen dekonstruieren möchte, damit das Regieren leichter wird. Irgendwann bleibt nichts mehr übrig, was die mächtigsten Interessengruppen der Gesellschaft nicht haben wollen. Merke: Der Anschluss der DDR erfolgte nach Artikel 23 statt nach Artikel 146. Soweit die Theorie.

Die zweitere Forderung Strassers ist die Stärkung der europäischen Armeen (Plural) und damit der Ausbau, der Aufbau oder die Wiederherstellung (das sagt und Strasser nicht)  der „Wehrfähigkeit“:  Nur so als Gedächtnisstütze: Aus der Sicht öffentlich zugänglicher Doktrin der US-amerikanischen Außenpolitik bedeutet die oft bedauernswerte europäischen Lesart einer bürgerlichen Realpolitik zum einen nicht die wünschenswerte Steigerung der Ausgaben für Kriegswaffen und die nationalen  Militäretats insgesamt, die den US-Haushalt real entlastet. Vorgeblich zum Erhalt der Freiheit und in realer Voraussicht natürlich ganz profan um die Vormachtstellung des s.g. freien Westens in den zu erwartenden kapitalistischen Verteilungskämpfen gegenüber China, Russland und den aufstrebenden ehemaligen Schwellenländern aufrecht zu erhalten und ideologisch zu rechtfertigen.

Langfristig bleiben zum anderen all diese Staaten Konkurrenten – nicht anders als jene durch verstärkte wirtschaftliche Konkurrenz gerade wieder in die US-Hegemonie eingehegten Einzelteile die von der EU übrig bleiben könnten. Die Bourgeoisien werden sich gemäß ihrer eigenen Bedürfnisse verbünden, bekämpfen oder Allianzen, die wiederum auf Zeit bestehen, unterordnen. Die  scheinheilige Allianz der gemeinsamen Interessen sowie Fakten schaffende US-Politik verschmelzen in der öffentlichen Wahrnehmung zur Allianz US-amerikanischer und europäischer Interessen angesichts des gemeinsamen weltweiten Kampfes um den Kanon der westlichen Werte, der jetzt endgültig das Stadium der moralischen Entrüstung überschritten hat und mit handfesten Kriegswaffen fortgesetzt werden kann.  Bei der Definition von Freiheit und Prosperität erhält der Konkurrenzkampf jedoch als alles treibende Kraft jeweils Vorrang gegenüber der Kooperation. Individuelle und kollektive Entwicklung werden wie eh und je argumentativ gegeneinander in Stellung gebracht. Die Synthese, allein der Konkurrenzkampf halte die ganz Chose am Laufen, wird schließlich in ein leuchtendes unabänderliches Abklingbecken verbracht und mit dem Warnschild „a priori“ in alle Denkrichtungen abgesichert. Keine perfekte Täuschung, aber mit enormer Halbwertzeit…

An den konkreten Folgen des beschleunigten Rückgangs der wirtschaftlichen Prosperität Europas allein durch die Beschränkungen, die ihre Regierungen den europäischen Bevölkerungen aufbürden, wenn sie in seltener Einigkeit untereinander (?) auf einmal Russland jetzt wirtschaftlich und zusätzlich noch militärisch in die Knie zwingen wollten, wird die EU nicht genesen. Schon ohne die zwar rückzahlbaren Kredite und Geschenke geschweige denn mit den Versprechungen, die der Westen seinem Nato-Crashtest-Dummy großzügig gewährt, katapultiert sich auch das Dauerexperiment einer gemeinsamen Staatlichkeit Europas in’s Nirvana.

Eine größere Genugtuung für die weitsichtigen strategischen Planer auf der anderen Seite des Teichs ist kaum vorstellbar. Es scheint jedoch nicht so, als wollten die deutschen Transatlantiker ihrer Verstimmung noch in diesem Jahrhundert Luft machen. Das könnte sie aber von Ihren heimischen Auftraggebern entfremden, die den Wandel der „Heimat“ durch Handel zum Nachteil des Steueraufkommens und der Handlungsfähigkeit des Staates jeden Tag, den Gott werden lässt, praktizieren. Wer weiß, vielleicht freut sich am Ende einer auf der anderen Seite des großen Teichs, einer oder mehrere. Ob dem greisen demokratischen Präsidenten durch Vorzeigen minimaler Effekte auf die stagnierende US-Wirtschaft der Wiedereintritt in die Atmosphäre (des weißen Hauses) makellos gerät, ist ungewiss. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass die momentan in der dtsch. Regierung befindlichen Parteien (mehr als jemals die Regierungen Merkel und  die davor) darauf spekulieren, nur ein paar kleinere Aufstände zurück in den rappelden Karton zwingen zu können. Sie werden sich auch hierin gründlich täuschen. Mit einer frech als sozial  apostrophierten Politik und der Gewährung einiger staatlichen Mildtätigkeiten aus dem „Mistloch der Gnade“, das gleichermaßen als Erklärung und Beschwichtigung für die permanente Umverteilung von unten nach oben herhalten muss, verhindert man auf Dauer keine Aufstände. U.a. deshalb plädieren Strasser und die übrigen demokratischen Bellizisten für mehr Waffen zur äußeren und inneren Aufrüstung.

Stassers Litanei, die Prinzipien der Demokratie seien hochzuhalten sind phraseologische Bekundung, die gern und häufig bemüht wird, lediglich bezogen auf das westliche Demokratiemodel, das während der s.g. Systemkonfrontation funktional auf den Systemerhalt des Kapitalismus ausgerichtet wurde. Ein Postulat ohne Folgen. Die „Ehe zwischen Kapitalismus und Demokratie“ besteht nach dem Sieg des einen Systems bestenfalls auf dem Papier. Nicht gemeint mit dem Bekenntnis zur Demokratie sind daher reale Bestrebungen, offensichtliche, selbst von Teilen des Bürgertums lange angemahnte Beteiligungs- und Gerechtigkeitdefizite in diesem abgelaufenen Gesellschaftskonstrukt schleunigst zu bereinigen. Es bleibt nur, die leere Larvenhaut der parlamentarischen Demokratie solange als Demokratie vorzuzeigen, bis niemand mehr fragt, was war denn da drin und wo ist es geblieben.

Auch das Prinzip „Wandel durch Handel“ liege zertrümmert am Boden, resümiert Strasser, verliert jedoch keinen einleuchtenden und auch sonst keinen Gedanken daran, wie es (wenn das denn stimmt) dazu kommen  konnte. Ob vielleicht starres, einseitig interessengeleitetes Festhalten am überkommenen Gesellschaftssystem der westlichen Demokratien daran beteiligt sein könnte. „Wandel durch Handel“ ist eben gerade kein starres Prinzip. Wie der Begriff schon nahelegt, handelt es ich um einen Prozess, den man in Gang bringen oder abwürgen kann. Willst du ihn abwürgen, betone deine einseitige Abhängikeit. Und was bedeutet es die europäischen Armeen zu stärken?  Wie wir wissen und am eigene Leib erfahren, bedeutet „Stärkung“ im Umkehrschluss Schwächung des Organisationsgrades und Sedierung der Organisationsstärke der Lohnabhängigen. Nichts anderes, als den endgültig herbeigeführten Kollaps der Ruinen des sozialen Ausgleichsapparats, der aus der Erfahrung von Krieg und Faschismus vor der Wiederholung schützen sollte. Letztendlich werden dadurch eben diese grundlegenden demokratischen Prinzipien geschleift, die Strasser und alle anderen „demokratischen Bellizisten“ vorgeblich erhalten wollen.  Strassers wirrer Deduktion folgt das zu erwartende Fazit. Im Stundenhotel der gewerbsmäßigen Ansichten flutscht es nach dem angedeuteten Zeugungsakt wieder raus. Vielleicht unter Zuhifenahme  eines bunten Gleitgels mit Zitrusgeschmack, das „mitgestaltende Autokraten“ listig in die europäische Identität geschmuggelt haben:

Strasser: „Am fälligen Neuanfang muss die Einsicht stehen, dass es in einer aggressiv von mächtigen Autokratien mitgestalteten Welt Dinge gibt, die sich nicht einfach gesprächsweise bereinigen lassen.“ 

Ja denn… Immer feste druff!